The Parallax – Apokalypse auf dem Smartphone


Bisher habe ich mein Handy zwar als Vieles genutzt – Chatinstrument, Terminverwalter, Schreibmaschine, Hosentaschenlexikon und so weiter und so fort – aber als Spielekonsole? Da hab ich mich doch lieber vor den PC, die PS4 oder Xbox One gepflanzt. Klar, mit Keyboard und Maus oder dem Controller zockt es sich ja auch besser als mit den Wurstfingern auf dem viel zu kleinen Display.

Dann allerdings bin ich über The Parallax gestolpert – und mitten hinein in den Weltuntergang.

The Parallax ist eine interaktive Geschichte, programmiert und geschrieben von Dennis Nicolas Perzl, deren Verlauf und Ausgang ich durch meine Entscheidungen mitbestimmen kann. Das Spiel wartet im Style einer Messenger App auf, über die ich Nachrichten mit einem fiktiven Charakter austausche, dessen Leben nicht nur an einem seidenen Faden, sondern vor allem an meinen Fingerspitzen hängt.

Der Beginn einer (apokalyptischen) Freundschaft

Ohne Vorwarnung oder Erklärung wirft mich das Game nach der Installation direkt in die Story.

Ein Mann namens David Blythe schickt mir eine Nachricht, kurz und bündig, ein schlichtes „Hallo“ mit einem Fragezeichen dahinter. Hallo kann ja bekanntlich alles bedeuten. Oder auch gar nichts.

Ich entschließe mich, unhöflicherweise direkt mit einer Gegenfrage zu antworten. Ich habe nämlich die Wahl. Wenn ich auf das Feld tippe, das normalerweise eine virtuelle Tastatur öffnen würde, öffnen sich hier vorgefertigte Texte: meine Antwortmöglichkeiten. Meist sind es drei oder vier Dinge, die ich sagen oder fragen könnte. Jedes Wort von mir könnte eine potenziell andere Reaktion von David herbeiführen.

Wer er ist, will ich zunächst von ihm wissen. Hätte ich doch besser nicht gefragt. Die Antwort klingt ebenso dramatisch wie ungemütlich. Er sei der letzte Überlebende, teilt er mir unverfangen mit und lässt diese Aussage bedeutungsschwer in der Leere schweben, die danach den Bildschirm und meine Gedanken füllt. Letzter Überlebender? Öhm… wovon denn bitte?

Auch darauf hat David natürlich eine Antwort parat: Weltuntergang, die Apokalypse. Ich habe keine Ahnung, wovon er spricht. Also weder mein außerhalb des Spiels existierendes wirkliches Ich, noch mein In-Game-Ich.

David klärt mich auf: Der sogenannte SH311-Virus hat eine globale Pandemie ausgelöst und die Menschheit dahin gerafft. Diejenigen, die das Zeitliche gesegnet haben, bleiben nur blöderweise nicht tot, sondern kommen zurück: als wandelnde Tote, die durch die Straßen flanieren und Jagd auf Beute machen. Menschliche Beute. Zombies also. Nur, dass sie in diesem Universum nicht Zombies genannt werden, sondern SH311, nach eben jenem Virus, das für diesen Fuck Up verantwortlich ist.

Ich erfahre noch einige weitere Details, die ein umfassenderes Bild der Welt zeichnen, in der sich der SH311-Pandemie-Wahnsinn abspielt: So wurde das Strom- und Kommunikationsnetz vor dem Ende der Zivilisation anscheinend weitgehend automatisiert und ist damit wartungsfrei und nicht darauf angewiesen, dass Menschen sich um einen reibungslosen Ablauf kümmern. Was natürlich erklärt, weshalb ich in einer Zombie-, Verzeihung, SH311-Apokalpse überhaupt fröhlich Nachrichten mit einem Fremden austauschen kann.

Seit sechs Monaten wütet nun bereits das Ende der Welt und David hat seitdem vermutlich Millionen an Nachrichten an alle möglichen Kombinationen von Handynummern verschickt. Ich bin die erste Person, die auf seine Nachrichten antwortet. David hat sich in seiner Wohnung verbarrikadiert und lebt von Konserven und der eingemachten Marmelade seiner Nachbarin.

Und dann bricht plötzlich das Chaos aus. SH311 stürmen das Haus und bahnen sich einen Weg zu Davids Wohnung. Von diesem Zeitpunkt an werden David und ich die besten Freunde: Er beschreibt mir, was er tun könnte, und ich sage ihm, was er gefälligst tun wird (was soll das heißen, so funktionieren Freundschaften nicht?). Und weil David wirklich so ziemlich alles tut, was ich ihm anrate, kann es auch schon mal passieren, dass ich ihn direkt ins Verderben lotse.

Ups. Sorry, Bro. War nicht meine Absicht.

Zum Glück ist das Spiel damit nicht endgültig vorbei, sondern zeigt sich gnädig und lässt mich die letzte Entscheidung noch einmal revidieren und eine andere Möglichkeit wählen.

So weit, so linear

Bis hierhin ist die Welt tadellos nachvollziehbar. Einzig ein paar unbedeutende, leicht zu ignorierende Fragen schleichen sich hin und wieder in meinen Hinterkopf (und werden mit der Zeit etwas schwieriger zu ignorieren).

Zum Beispiel diese: Wer bin ich eigentlich in dieser Story? Wie kommt es, dass ich nicht weiß, dass die Apokalypse in vollem Gange ist? Auf welcher einsamen tropischen Insel oder arktischen Forschungsstation ohne jeden Kontakt zur Außenwelt sitze ich bitte sehr seit einem halben Jahr, dass ich nichts davon mitbekommen habe? Oder bin ich vielleicht gar nicht so real, wie ich glaube zu sein? Die Antwort wird vermutlich noch eine Weile auf sich warten lassen.

Oder auch diese Fragen: Warum tauschen David und ich eigentlich immer nur Textnachrichten aus? Wäre telefonieren nicht wesentlicher einfacher, gerade in Situationen, in denen es hektisch zugeht? Wie kann David eigentlich die Zeit haben, während einer Verfolgungsjagd mit den SH311 unbekümmert ins Smartphone zu tippen? (Ich gebe zu, das ist natürlich auch der Spielidee geschuldet, aber solche Fragen nach der Logik muss man sich als Entwickler und Autor des Spiels natürlich schon gefallen lassen. Aber vielleicht urteile ich auch zu voreilig und es gibt tatsächlich im weiteren Verlauf noch eine Antwort.)

Das geradlinige Storytelling wird spätestens dann durcheinander gebracht, als die ersten Echos auftauchen: Nachrichten, die vor langer Zeit geschrieben wurden, aber noch immer herumgeistern und völlig wahl- und ziellos zugestellt werden. Wirklich?

Denn auch wenn David mir zu versichern versucht, dass sie keinerlei Bedeutung haben, entwickeln sie doch verdächtige aber interessante Wechselwirkungen mit meiner Unterhaltung mit David und bringen häppchenweise neue Informationen ans Tageslicht. Gleichzeitig bleibt weiterhin Vieles im Dunkeln; es gibt Andeutungen, von denen ich ahne, dass sie irgendwann eine gewichtige Entdeckung zutage fördern werden – doch noch sind sie nicht wirklich greifbar.

Und dann beginnt sich zudem noch der Verdacht zu erhärten, dass David in dieser Stadt voll wandelnder Toter vielleicht doch nicht der letzte noch lebende Zeitgenosse ist. Wo das wohl eines Tages mal enden wird?

Was man vor dem Spielen wissen sollte

So viel also zur Story von The Parallax. Was gibt es sonst noch zu beachten, wenn man sich Gedanken darüber macht, die App auf sein Handy zu laden? Eine beinahe unbedeutende, winzige Kleinigkeit vielleicht: Es ist Free2Play.

Warum ich Absätze lang über die Story des Spiels plaudere, aber mit keinem Wort erwähne, dass es die beschissenste, kleinkarierteste, abzockerischste Methode betreibt, die diese Welt je gesehen hat?!

Kommt mal kurz runter. Hier, setzt euch, nehmt euch ’nen Keks. Lasst mich erklären.

Einige Menschen halten Free2Play ja für den Teufel. Oder so. Ich nicht (ihr hoffentlich auch nicht). Generell nicht und in diesem speziellen Fall erst recht nicht. Denn die gute Nachricht ist: Es ist kostenlos (theoretisch wie praktisch)! Und das bedeutet: Ihr habt nichts zu verlieren!

Der Entwickler und Autor hat ein, wie ich finde, durchaus faires und angemessenes System eingeführt:

Bisher wurden vier Episoden (Stand Juli 2017) des Spiels veröffentlicht, weitere sollen folgen. Im Laufe einer Episode entstehen immer mal wieder Pausen in den Gesprächen zwischen Spieler und David, die manchmal nur wenige Minuten, manchmal aber auch weitaus länger dauern können. Diese Pausen kann man entweder geduldig hinnehmen, oder aber Nutrition investieren, um sofort weiter spielen zu können. (Die Pausen sind übrigens keineswegs völlig wahllos gesetzt, sondern machen in der Regel inhaltlich durchaus Sinn und geben dem Spiel einen gewissen Echtzeit-Faktor. Natürlich sind sie dennoch dazu gedacht, potenzielle Käufe anzuregen; aber immerhin wurden sie nicht lieblos hinein geklatscht.) Nutrition kann man für einen kleinen Obulus kaufen, oder aber jeweils eine kostenlos erhalten, wenn man sich ein etwa 30-sekündiges Werbevideo ansieht. Um die Pausen einer gesamten Episode zu überbrücken, benötigt man etwa 50 Nutrition.

Außerdem muss man Tickets sammeln, um Episoden freizuschalten. Eine Episode kostet 100 Tickets. Auch diese lassen sich kaufen. Alternativ kann man auch hier durch das Anschauen halbminütiger Werbeclips jeweils 3 Tickets erhalten. Jedes Mal, wenn man Nutrition nutzt, bekommt man außerdem 2 weitere. Die erste Episode bekommt man aber übrigens genauso geschenkt wie die zweite. Das heißt, Gedanken über Tickets muss man sich frühestens ab Episode 3 machen.

Meine Meinung zum Spiel

Bisher habe ich die ersten zwei Episoden von The Parallax gespielt und bin mit dem Spielerlebnis sehr zufrieden. An dieser Stelle will ich daher einmal das Storytelling von Dennis Nicolas Perzl loben, der meiner Meinung nach eine spannende Geschichte mit interessanten und glaubwürdigen Charakteren geschaffen hat. Mein Verschwörungstheoretiker-Hirn ist an der ein oder anderen Stelle Achterbahn gefahren und genau so sollte es sein. Der Mix aus Informationen und gestreuten Andeutungen ist gelungen, lässt Raum für Interpretation und macht neugierig auf mehr.

Die Dialoge sind im Großen und Ganzen gut gelungen. An manchen Stellen holpert es zwar hier und da mal, aber das wird dafür in anderen Momenten wieder aufgefangen.
Zum Beispiel wenn ich mich dabei ertappe, eine der vorgefertigten Antwortmöglichkeiten bereits laut ausgesprochen zu haben, bevor sie überhaupt auf meinem Bildschirm aufploppt (auch ein sehr gutes Zeichen dafür, dass hier die Logik der Story durchaus stimmt – oder ich eine verquere habe).
Oder wenn ich – wie am Ende der zweiten Episode geschehen – mit einem fetten Grinsen im Gesicht dasitze und denke: „Was für ein genialer Dialog – den werde ich sowas von klauen!“. („Das werde ich sowas von klauen“ ist übrigens so ziemlich das höchste Kompliment, das ich an Autoren jedweder Art zu vergeben habe.)

Die erzwungenen Pausen im Spiel haben mich (meistens) nicht gestört. Im Großen und Ganzen fand ich sie sogar recht praktisch, denn so wird The Parallax zu einem netten Begleiter für zwischendurch. Man kann unterwegs Wartezeiten überbrücken und nebenbei noch zig andere Dinge erledigen, ohne etwas von der Story zu verpassen. Wenn ich dann doch einmal so angefixt war, dass ich sofort wissen wollte, wie es weiter geht, habe ich halt mal ein paar Nutrition investiert, die ich vorher durch das Laufenlassen diverser Werbeclips gesammelt hatte.

Ich werde auch die nächsten zwei Episoden (und wahrscheinlich auch die danach folgenden) spielen. Nutrition und Tickets habe ich jedenfalls schon einmal gekauft und damit auch meine Wertschätzung für das Spiel ausgedrückt. Guten Content kann man sich nämlich ruhig auch einmal etwas kosten lassen – selbst wenn man nicht müsste.


tl;dr

The Parallax ist eine interaktive Geschichte, ein Text-Abenteuer im Stil einer Messenger App, über die man mit dem angeblich letzten Überlebenden einer Zombie-Apokalypse kommuniziert. Während man ihm durch brenzlige Situationen hilft, erfährt man häppchenweise mehr über die Welt, in der sich das Szenario abspielt.
Wer spannende Geschichten mag und textreichen Spielen nicht abgeneigt ist, der sollte The Parallax ruhig mal eine Chance geben.

Der Free2Play-Titel ist im iOS App Store und bei Google Play kostenlos zum Download verfügbar.